Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 49


Erledigung der Abdankung des Jairus durch Engel. Aufforderung eines Pharisäers an seine Kollegen, sich Jesus anzuschliessen. Fehlentwicklungen der mosaischen Lehre.

01] Auf diese Meine Worte begibt sich nun alles zur Ruhe; nur Meine Brüder, die Mutter Maria und der Borus sind noch in der Küche beschäftigt, um für den kommenden Sabbat alles Nötige vorzubereiten. Auch die Sarah und die Lydia sind der Maria behilflich und tummeln sich recht emsig in der Küche herum. Als sie alles in der Ordnung haben, begeben auch sie sich zur Ruhe, und wie gewöhnlich ist auch am Morgen die Maria zuerst auf den Beinen und weckt die, die sie braucht, noch lange vor dem Aufgange, auf daß sie alles, was wir den Tag hindurch vonnöten haben, nach jüdischer Sitte noch vor Beginn des Sabbats in der Ordnung und Bereitschaft hat. Borus ist auch sehr geschäftig, und so sind zum Morgenmahle schon alle Tische bestellt, als wir alle uns von den Lagern erheben.

02] Im Freien werden Morgenpsalmen gesungen, und auf den vielen Tischen im Freien harren schon wohlzugerichtete Fische und Brot und Wein derer, die sie verzehren werden.

Erledigung der Abdankung des Jairus durch Engel

03] Wir begeben uns dann auch zum Morgenmahle, und Ich entsende nach dem Mahle den Boten in der bewußten Angelegenheit nach Jerusalem. Jairus harret mit großer Sorge auf die Rückkunft des abgesandten Boten, der natürlich nur so lange ausbleibt, als er auf rein menschliche Weise mit den Templern zu verhandeln hat. Da aber die Verhandlung dennoch bei zwei Stunden angedauert hatte, so kam der Bote auch nur erst in zwei Stunden, zur großen Freude des Jairus, zurück und hinterbrachte dem Jairus nebst der Nachricht von der freudigen Annahme seiner Abdankungsurkunde auch eine Lob- und Dankadresse für dessen treu verwaltetes Amt, und es wird ihm zugleich auch der Name seines Nachfolgers kundgegeben mit der Bitte, selbem im Falle der Not mit Rat und Tat an die Hand zu gehen, falls er dessen bedürfe.

04] Jairus ist nun ganz heiter und sagt zu Mir: »Herr, aus aller Tiefe meines Herzens danke ich Dir für diese wunderbare Errettung von einem Amte, in dem ich nach solchen gotteswiderlichen Dienstverhältnissen alleroffenbarst eine Beute des Satans werden müßte!«

05] Sage Ich: »Nun, habe Ich es dir nicht gesagt: Wenn es sich um glänzende Geschäfte der Templer handelt, da kann nun der Sabbat inmitten der Opferung zu jeder Stunde des Tages gebrochen werden! Aus dem aber kannst du leicht ersehen, wie viel die Templer auf Gott und Seine heiligen Gesetze halten!

Aufforderung eines Pharisäers an seine Kollegen, sich Jesus anzuschliessen. Fehlentwicklungen der mosaischen Lehre.

06] Nun aber wollen wir des Volkes wegen dennoch wieder die Synagoge besuchen und dort sehen, was die Pharisäer alles machen und lehren werden; aber wir nehmen ganz rückwärts Platz, auf daß wir von den aufgeblähten Pharisäern und Volksältesten nicht so bald bemerkt werden!«

07] Sagt Jairus: »Aber ich werde nicht hineingehen, denn mich kennt ein jeder Knabe; wäre Ich in der Synagoge, so müßte ich vorne im Presbyterium des Obersten Platz einnehmen, und ihr wäret dadurch verraten!«

08] Sage Ich: »Laß nur du dir kein Kummerhaar wachsen! Denn so Ich etwas anrate, was da zu geschehen hat, so kannst du ohne alle weiteren Besorgnisse danach handeln, und es wird dir dennoch kein Haar gekrümmt werden! Und so machen wir uns sämtlich auf den Weg!« - Wir setzen uns darauf in Bewegung und erreichen bald die Synagoge.

09] Als wir in dieselbe treten, so zeigt es sich, daß sie sehr leer ist, und nur allein die diensttuenden Pharisäer erfüllen das Presbyterium. Nach und nach kommen einige alte Juden und nehmen in ihren Bänken Platz, um darin so recht con amore (mit Liebe) ihr Vormittagsschläfchen zu machen.

10] Nach vollbrachter Opferung und stumpfer Herabmurmelung der Gesetze, einiger professionsmäßiger Psalmen und des Hohenliedes Salomonis besteigt ein Redner den Rednerstuhl und fängt mit einer sehr heiseren Stimme folgendes zu predigen an: »Meine Geliebten in unseren Vätern Abraham, Isaak und Jakob! Wir leben nun in einer sehr bedrängten Zeit - nahe gleich derjenigen, als Noah die Arche baute und endlich, auf Jehovas Geheiß, sich samt seiner Familie in dieselbe einschloß! Wir stehen nun an der heiligen Stätte, von der Daniel geweissagt hat, sehen den von ihm vorhergesagten Greuel der Verwüstung an - wie die gebannten Sklaven der heidnischen Hexe Megära die Qualen ihrer Brüder ansehen und schmerzlich erwarten mußten, bis man auch sie in kochendes Erz legen werde - und können uns weder links noch rechts hin irgend bewegen! Wir stehen so verlassen da wie irgendein schon lange abgestorbener Baumrumpf auf einer Bergspitze zum klaffenden Beweise, daß einst auch in solcher Höhenregion üppige Wälder mögen gestanden haben! Was ist aber da zu machen? Das ist eine große Frage! Eine diamantene Krone dem, der darauf eine taugliche Antwort zu finden imstande ist! Aber er bedenke wohl unsere höchst gebannte und mit allen Ketten der Welt gefesselte Stellung!

11] Auf der einen Seite sitzen uns die Römer wie der ganze Berg Sinai knapp auf dem Genicke, auf der andern Seite des Zimmermanns Sohn, der auf einmal, wie aus den Wolken gefallen, aus einem barsten Haustölpel zu einem Propheten erstanden ist, wie seit Abraham noch nie einer unter den Juden gelebt hat. Alles läuft ihm nach, groß und klein und jung und alt! Wenn heute Jehova Selbst zur Erde herabkäme, so fragt es sich sehr, ob Er größere Taten vollbringen würde oder könnte! Jede Krankheit heilt er bloß durchs Wort in die Ferne hin, die Toten ruft er aus den Gräbern und gibt ihnen ein vollkommen gesundes Leben wieder! Also gebietet er den Winden und den Meereswogen, und sie gehorchen ihm wie ein Sklave seinem Gebieter! Wenn er redet, so leuchtet allenthalben die allertiefste göttliche Weisheit heraus, und alles ist von der Macht seines Wortes hingerissen und folgt ihm von einer Stadt zur andern. Dazu hat er noch die Großen Roms fest auf seiner Seite, die ihm mit Legionen zu Dienste stehen, wann er deren benötigen würde. Wir aber stehen gerade am Rande des scheußlichsten Abgrundes, um in jedem Augenblick verschlungen zu werden, und haben aber auch nicht ein sterbliches Wesen auf unserer Seite - außer diese alten Schläfer in der Synagoge! Da frage ich noch einmal: Was sollen wir tun?

12] Was nützen uns nun Moses und alle die Propheten, was selbst Jehova, der mit Moses und den Propheten geredet hat, uns aber nun schon seit mehr denn einem ganzen Säkulum im tiefsten Moraste stecken läßt!? Und ob wir schon schreien, daß man uns bis zu den Sternen vernehmen solle, so meldet sich dennoch kein Jehova mehr und läßt uns ärger in der schmählichsten Patsche, als ein vollendet windbeutliger Bräutigam seine arme, von ihm zehnmal verführte und unglücklich gemachte Braut! Wir aber haben dafür noch den Ehrentitel, »Gottes Volk« zu heißen, während die gottlos sein sollenden Heiden in allem Ansehen und im Besitz aller Macht und aller Reichtümer der Erde stehen also, wie solches Jehova Seinem David nach der Schrift verheißen hat, - was aber nie in Erfüllung ging!

13] Da heißt es, ganz göttlich groß gesprochen: »Und deines Reiches wird fürder ewig kein Ende sein!« Sehen wir nun das ewige Reich Davids an! O du schöne Lüge eines dem David schmeichelnden Propheten! Wie oft schon ist des Reiches Davids ein Ende gewesen! Er selbst hat schon das Vergnügen gehabt, es an der Seite seines Sohnes zu erleben, und hätte den Sohn nicht eine Eiche gefangengenommen, so hätte der gute David seinem süßen Jehova noch zehntausend Psalmen vorsingen können, und Absalom wäre dennoch auf dem Throne gesessen! - Lassen wir aber das Vergangene beiseite und besehen uns jetzt das verheißene ewige Reich Davids! O du schönes Reich! Vielleicht hat sich die Seele Davids in die Cäsaren Roms begeben, deren Reich wenigstens jetzt ein bei weitem besseres Gesicht hat für einen ewigen Bestand als das Schneckenreich des großen Mannes nach dem Herzen Gottes! Brüder, greifet ihr es noch nicht mit den Händen, daß unsere ganze alte Lehre eine pure Fabel ist, an der sonst nichts ist als erdichtete Namen aus der Vorzeit?! Und wir sind noch die Narren und hängen daran, als wenn da wirklich irgendein Heil zu gewinnen wäre! Welch ein Esel oder Ochse von einem Menschen wird denn noch einen alten, klein zerlumpten Rock am Leibe dulden, so er für den alten zehn neue vom besten Stoffe haben kann?!

14] Die Geschichte und die höchst eigene Erfahrung zeigen uns sonnenhell, daß an der ganzen Mosaischen Lehre und an allen Propheten nicht mehr von irgendeinem reellen Belange ist, als an einer hohlen, tauben Nuß, - und doch hängen wir schier verhungert daran wie an irgendeiner sicheren Berechnung und weichen vor lauter alteingewurzelter Dummheit dennoch nicht von der Stelle, wenn uns auch schon das Wasser bei allen unsern Leibesöffnungen hineinrinnt wie der Jordan in das Tote Meer!

15] Auf darum, Brüder, schließen wir uns auch an den Sohn des Zimmermanns an, und wir sind geborgen! Denn er tut vor unsern Augen das, was die Alten nie von Jehova, den sie so wenig als wir je gesehen, gefabelt haben! Ich meine, mit diesem meinem Vortrage nun die von mir aufgestellte schwere Frage unter einem beantwortet zu haben; tut danach, und es soll uns allen sogleich physisch und moralisch besser ergehen!

16] Roban, unser Ältester, ist uns zuerst mit einem guten Beispiele vorangegangen; folgen wir ihm nach, und es soll für keinen aus uns gefehlt sein! Vielleicht ist gerade dieser vorher wenig beachtete Zimmermann Jesus dazu ganz vollkommen geeignet, das wahrlich unglückliche, ewig sein sollende Reich Davids wenigstens auf eine Zeitlang wieder herzustellen! Denn bei seiner unbegreiflichen magischen Macht, mit der sich keine Macht der Welt messen kann, ist es am ersten möglich, den sehr abergläubischen Römern einen derartigen Respekt einzutreiben, daß davon ihre mächtigen Legionen nur zu bald tausend Füße zum Davonlaufen bekommen könnten.«

17] Hier erheben sich die Ältesten, die Schriftgelehrten, Pharisäer und Leviten und sagen: »Du verstehst die Schrift schlecht, wenn du solch eine ketzerische Rede führen kannst, an der zwar wohl in einer gewissen irdischen Hinsicht was zu sein scheint, die aber in geistiger Hinsicht ein schwarzes Verbrechen gegen die unleugbare Majestät Gottes ist, und wir darum genötigt sind, dich unseres Heiles willen aus unserer Gesellschaft unter die Heiden zu stoßen!«

18] Sagt der Redner: »Meinet ihr etwa, mich dadurch zu strafen? Oh, da irret ihr gewaltig! Wollt ihr Narren bleiben und als solche verhungern, so tut ihr das immerhin, damit ihr verbleibet in eurer alten Nacht und Finsternis! Ihr alten Dummköpfe, gebet mir ein Beispiel an, wo irgendein Gottesredner einen Toten aus dem Grabe ins Leben zurückgerufen hätte, wie dieser unser Zimmermann!«

19] Sagen die Ältesten: »Das wird Gott tun am Jüngsten Tage!«

20] Sagt der Redner: »Euer Gott wird euch am Jüngsten Tage was vorpfeifen! Kein Mensch weiß irgendeine Silbe davon, daß Jehova, wie wir Ihn kennen aus der Schrift, je irgendeinen Menschen vom Tode ins Leben zurückgerufen hätte! Weil solches nie ein Mensch erlebt und am Rande seines kurzen irdischen Lebens nichts als den sichern ewigen Tod vor Augen hatte, so ward es ihm sehr bange, und er fing sehr traurigen Gemütes ängstlich zu fragen an: »Was bin ich, und wohin komme ich, wenn dieses Leben zu Ende ist?« Und da es an sogenannten Gottesknechten, wie wir zu sein die spottschlechte Ehre haben, nie gemangelt hat, so mußten sie zum Troste der vielen Fragenden und zum besten ihrer eigenen möglichst besten Zwecke denn doch etwas erfinden, das die vielen sehr scharf Fragenden in etwas beruhigte, und es kam dadurch die Erweckung am jüngsten Tage, den die weiten Himmel wahrscheinlich nie werden erstehen lassen, zum Vorscheine; und wir denkenden Narren lassen uns damit aber auch noch breitschlagen und sind darob blind für die unerhörtesten wahren Taten und Begebenheiten, die vor unseren Augen, Nasen und Ohren zustande gebracht werden! Ist es denn im Ernste gar so etwas Erhabenes für einen Mann, so er sich als Greis noch immer nicht von dem schon ganz verschimmelten sogenannten Kinderzuzel (Schnuller, d. Hg.) zu trennen vermag?

21] Was wollt ihr denn noch fernerhin mit dem alten Kram der Juden, der sich bei der gegenwärtigen Aufhellung der Völker kein halbes Säkulum mehr halten kann? Ich werde der Narr sicher nicht sein und abwarten das Ende dieser blinden Lehre, an der sonst nichts ist als leere geschichtliche Namen oder aber auch Namen und märchenhafte Fabeln, die zuerst die Ammen ihren Säuglingen aus dem Stegreife erzählt haben mögen, und aus denen dann die erwachsenen Säuglinge eine fabelhafte Gotteslehre zusammengestoppelt haben, in der kein System und kein Funke von irgendeiner nach griechischer Art logischen Ordnung zu entdecken ist!

22] Sollte denn Jehova nicht einmal so logisch zu reden und zu lehren imstande sein wie ein armseliger griechischer Philosoph, da mag Er erst zu den Griechen in die Schule gehen, bevor Er Seine durchaus nicht allgemein auf den Kopf gefallenen Völker Wahrheit, Ordnung und Weisheit lehren will!

23] Aber das sei von mir ewig ferne, daß ich mir den Jehova nicht weiser vorstellen sollte als einen durch seine Kindsmagd gebildeten Propheten, der bei aller seiner sonstigen Dummheit gerade noch so viel Mutterwitz besitzt, eine so dunkle Lehre von sich zu geben, daß er sie zuerst und als der erste durchaus nicht versteht und verstehen kann, was eigentlich schon in seinem Plane darum gelegen ist, auf daß solch eine Lehre desto weniger von irgendeinem andern Menschen verstanden werden solle! - Höret mir auf mit eurem Jehova! Wahrlich, als ein ehrlicher Mensch muß ich mich nun erst so recht zu schämen anfangen, daß ich je solch einer unmenschlich dummen Lehre habe anhangen können!

24] Wenn an der Lehre Mosis aber im Beginne was gewesen war, so ist dieses »Was« nun sicher so entstellt durch die niedrigsten menschlichen Lumpereien, daß wir davon aber auch nichts mehr als den vielleicht auch schon ganz falsch ausgesprochenen Namen besitzen!

25] Ich bin daher heute noch ein Jünger des Zimmermanns Jesus! Er ist gut und wird einen ehrlichen Kerl sicher nicht, wie ihr, von sich weisen!«


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