Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 200


Klagen des von den Samaritern vertriebenen Oberpriesters Jonael aus Sichar.

01] Ich aber berufe die beiden Sichariten, dass sie Mir nun kundtun sollen, welches Anliegens wegen sie hierhergekommen sind. Und Jonael, der den Sprecher macht, öffnet den Mund und spricht: »Herr, Du hast zwar schon früher den rechten Grund berührt, und also ist es denn auch! Es ist wahrlich kaum glaublich, dass Menschen, die doch alle samt uns die bleibenden großen Zeichen Deiner rein göttlichen Macht vor Augen haben, gar böse sein könnten! Sie erkennen die Wahrheit an und verfolgen sie eben darum, weil sie solche als Wahrheit anerkennen müssen! Mich haben sie vertrieben; wenn der Bruder Jairuth mich samt meiner Familie nicht in sein Haus genommen hätte, so wäre ich obdachlos!

02] Herr, wie sehr und wie oft habe ich im Geiste Dich gebeten, dass Du kämest und mir beistündest gegen die Feinde; aber es war vergebens, Du kamst dennoch nicht, uns zu helfen aus unserer größten Not!

03] Wohl ist es wahr, dass Du uns an Deiner Stelle sichtbare Engel zu unserem Dienste hinterlassen hast. Aber sie wollen auch nicht allezeit wirken und auch nicht also, wie ich es für nötig finde; denn sie sagen, dass sie ohne Deinen Willen nichts tun können; denn nur Dein Welle ist ihre ganze Kraft und Macht! Das ist wohl alles völlig wahr; aber wenn die beleidigten alten Erzsamariter Hunderte von Deinen Anhängern aus dem Lande treiben, so dass diese bei den Heiden Schutz suchen müssen - was nicht anders geschehen kann, als dass die Vertriebenen selbst Heiden werden -, dann sollte es denn doch wohl in der Ordnung sein, dass Deine Engel dazwischenträten und solch argem Treiben ein Ende machten, statt dass sie mit uns der ganzen Geschichte ganz traurigen Gemütes zusehen und am Ende eben mit uns unter Seufzen ausrufen und sagen: 'So sind des Herrn Ratschlüsse doch allezeit unerforschlich und unergründlich Seine Wege!'

04] Was ist aber damit geholfen?! Hunderte werden Heiden, Hunderte werden geschlagen mit Stöcken und Ruten und werden verspottet an öffentlichen Orten um Deines Namens willen!

05] Joram mußte aus Sichar auf eine Zeit, und das Haus, das Jakob erbaut hatte, ist unterdessen verschlossen und leer! Und Joram befindet sich nun auch mit seinem Weibe im Hause des Bruders Jairuth, sowie viele andere angesehene Familien, die in Sichar Deinetwegen nicht mehr geduldet wurden!

06] Und wider alles das haben Deine Engel, die bei uns sind, aber auch nicht einen Schritt getan! Herr, Herr, um Deines heiligsten Namens willen! Für was soll das denn doch gut sein?!

07] Muß denn hier auf dieser Erde dem Satan alle Macht und Gewalt über Dich eingeräumt sein?! Oder ist seine Hölle denn im Ernste mächtiger denn alle Deine Himmel? Herr, wenn es also fortgeht, so werden am Ende die Menschen genötigt sein, dem Satan Tempel und Opferaltäre zu erbauen und die Deinen abzubrechen! Eine höchst traurige Sache schon in dieser Zeit!

08] Was ist nun der Gottesdienst auf Garizim, ja selbst im Tempel zu Jerusalem anderes als ein barster Satansdienst?! Ich weiß es aus Deinem Munde, der Du der Herr Selbst bist, wie Gott, der in Dir wohnt in aller Fülle körperlich, verehrt und gelobt sein will. Siehe dagegen aber nun den Dienst auf Garizim an, und Du hast den allerwahrsten und echtesten Satansdienst; denn da wird im vollsten Ernste, was selbst Deine heiligen Engel nicht im geringsten in Abrede stellen, im vollsten Maße dem Satan Weihrauch gestreut!

09] Also ist und geschieht es treu und wahr, und Dir, o Herr, kann es nicht unbekannt sein, dass es also ist und geschieht, und doch lässest Du es zu, dass es also ist und geschieht! Herr, wie sollen wir das nehmen und wie verstehen Dein heilig Wort?

10] Auch der ehrliche, Dir mit seinem ganzen Hause tiefst ergebene Bruder Jairuth bekommt nun schon Tag für Tag eine Drohung, wonach er aufgefordert wird, sich binnen kurzer Zeit als Erzsamariter zu erklären, widrigenfalls er aller seiner Güter verlustig erklärt wird!

11] Viele, die schon steinfest an Deiner Lehre, o Herr, gehangen sind, sind von den tagtäglichen Drohungen eingeschüchtert, unter vorgeschriebenen Verwünschungen und Verfluchungen Deines Namens zum reinsten Satansdienst zurückgekehrt!

12] Siehe, Herr, solche Dinge geschehen, vor denen Deine Engel wohl allzeit ihr Angesicht verhüllen; aber wozu solche leeren Beileidsbezeigungen?

13] Herr, Du siehst in mein Herz, das ganz Dir ergeben ist, und so rede ich auch ohne Vorhalt mit Dir und sage: Da ist ein leeres, wehmutsvollstes Zuschauen so unzeitig als eine Feige im dritten Tage nach dem Abfalle der Blüte! Da heißt es dreinschlagen, und das mit aller Gewalt und Macht, sonst bekommt der Satan Grund und Wurzeln.

14] Und vermögen Deine Jünger schon jetzt nichts mehr wider ihn, was werden sie nachher vermögen, wenn er zu vollster Kraft gelangen wird, was ihm eben nicht zu schwer werden dürfte, so ihm gleichfort so wenig entgegengestellt wird, als das bis jetzt der traurige Fall ist, wo sich sogar Deine Engel gegen ihn nichts zu unternehmen getrauen?!

15] Ich bitte Dich darum um Deines heiligsten Namens willen und um aller derer willen, die noch immer an Deinem Namen gleich uns beiden unverrückt hangen, stehe uns bei und befreie uns von den Schlingen des Satans!

16] Hast Du uns doch Selbst am Berge beten gelehrt; und siehe, wir beten stets also, und es wird von Tag zu Tag ärger statt besser!

17] Wir wollen Dir ja alles zum Opfer bringen und wollen Dir zuliebe so armselig leben wie nur immer möglich; aber irgendeinen Fleck auf der Erde, solange wir auf der Erde zu leben haben, mußt Du uns denn doch gönnen; denn unter lauter Wölfen, Hyänen und Bären läßt sich's, wenn man nicht selbst eine gleiche Bestie ist, weder leben und noch weniger Dir, o Herr, nachfolgen!

18] Wir verlangen nicht ein friedliches Paradies auf dieser Welt, aber doch zum wenigsten, dass wir nicht gerade unter Teufeln in der vollkommensten Hölle leben müssen; dafür wolle Du, o Herr, uns in den Schutz nehmen!«



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 1   |   Werke Lorbers