Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 117


Disput zwischen Bruder des Geheilten und Schriftgelehrtem.

01] Und der junge Mensch, der früher so gut geredet hatte, sagte durch die Bodenöffnung: »Ob das wohl auch der Hohepriester zu Jerusalem zuwege brächte mit tausend Ochsen, zehntausend Eseln und hunderttausend Schafen?!«

02] Diese drollige Frage erweckte eine große Lache selbst bei den Pharisäern. Aber dennoch meldete sich ein Schriftgelehrter und sagte zum launigen Sprecher hinauf durch die Bodenöffnung: »Mein Lieber, wage nicht zu viel! Denn die Arme des Hohenpriesters umspannen die ganze Erde, und wer unter die Arme des Hohenpriesters gerät, der wird erdrückt! Dazu braucht der Hohepriester auch nicht Tote zu erwecken und gichtbrüchige Menschen gesund zu machen; denn alles derlei geht das Fleisch und nicht den Geist des Menschen an und ist eine Sache der Ärzte und nicht der Priester. Verstehst du das?«

03] Sagt der Redner: »Freund, es wäre das schon auch eine Sache der Priester, so sie solche Sache zuwege brächten; aber weil sie eben solch eine Sache um alle Schätze der Erde nicht zuwege zu bringen imstande sind, so müssen sie am Ende freilich mit stolzer Miene bekennen und sagen: 'Das ist keine Sache der Priester, die nur den Geist des Menschen zu versorgen haben!' Ich aber meine: So einem Arzte es möglich ist, einem vollkommen toten Mägdlein, das am bösen Fieber gestorben ist unter unseren Augen - also an einem Übel, an dem noch nie jemand halb gestorben ist! -, den Geist und die Seele wiederzugeben, so wird das doch etwa auch eine sehr gewaltig stark geistige Versorgung sein!?

04] Als Gott den Adam schuf pur aus Lehm, so war diese Schöpfung eine bloß materielle, und es war dabei nichts Geistiges außer Gott Selbst.

05] Als aber hernach Gott in die tote Form eine lebendige Seele und in diese einen denkenden Geist einhauchte, so war das dann keine materielle, sondern sicher eine höchst geistige Arbeit Gottes in und an der Gestalt des ersten Menschen der Erde! Und wenn hier vor unseren Augen dieser Wunderarzt Jesus aus Nazareth dasselbe verrichtete an dem Töchterchen des Obersten, so wird das doch auch eine sehr geistige Arbeit und Versorgung sein?! «

06] Sagt der Schriftgelehrte: »Das ist eine Sache, die du nicht verstehst, darum sollst du schweigen!«

07] Sagt der junge Mann: »So ich noch ein Jude wäre, da würde ich wohl schweigen; aber seit ich kein Jude, sondern ein ehrlicher Grieche und ein Bekenner der herrlichen Lehre des Sokrates bin, so sehe ich nicht ein, warum ich vor den Judenpriestern schweigen solle, deren gegenwärtige, über alle Maßen dumme Lehre ich leider nur zu gut kenne.«

08] Sagt der Schriftgelehrte: »Und was findest du Heide denn an der alten, rein göttlichen Lehre der Juden dumm? Sind dir Moses und die Propheten alle etwa zu wenig erhaben und findest du ihre Lehre dumm?!«

09] Sagt der junge Mann: »Nein, Moses und die Propheten alle, die über euch das sagten, was ich euch nun sage, halte ich für höchst und rein göttlich weise! Aber eure Satzungen, von denen dem Moses wie allen anderen Propheten nie was geträumt hat, halte ich für ganz übermäßig dumm!

10] Wie dient ihr Gott?! Mist, Kot und Unflat verbrennt ihr am Gott geweihten Altare, und die fetten Ochsen, Kälber und Hammel verzehrt ihr selbst und opfert sie eurem nimmer voll werden wollenden Bauche. Das göttlich Reine eurer Lehre habt ihr verworfen, und wer unter euch es nun wagt, das Reine zu lehren, dem tut ihr, was ihr noch allen euren Propheten getan habt!

11] Wie lange ist es denn seit den Tagen, als ihr den Zacharias im Tempel ermordet habt?

12] Zu Bethabara predigte dessen Sohn Johannes die Wahrheit und ermahnte euch gewissenlose Frevler im Heiligtume Gottes zur Buße und zur Rückkehr zum Moses und dessen reinster Lehre; was tatet ihr mit ihm?! Wo kam er hin?! Er verschwand; - soviel mir bekannt ist, so ist er in der Nacht von argen Schergen abgeholt worden!

13] Nun ist hier in Nazareth Jesus als ein Prophet von Gott erweckt worden und verrichtet Taten, die nur den allmächtigen Göttern möglich sind, und ihr beobachtet ihn nun mit Argusaugen! Wehe ihm, so er es wagen sollte, gleich mir wider euch und eure von euch selbst und nicht vom Moses geschaffene allerunflätigste Lehre ein Wort ergehen zu lassen! Ihr würdet ihn sogleich des höchsten Verbrechens der Gotteslästerung beschuldigen und ihn aus Dankbarkeit, dass er eure Toten erweckte und eure Krüppel gerademachte, steinigen oder gar ans Kreuz binden!

14] Denn eure Sache ist, zu herrschen und dabei im höchsten Wohlleben zu mästen euren Bauch! Wer euch darin schmälern will und zurückwenden zu Moses, der ist euer Feind, und ihr habt Mittel genug, ihn aus dem Wege zu räumen!

15] Euch alle verachte ich wie ein faules, stinkendes Aas darum, weil ihr tatsächlich die größten Feinde Gottes und aller Seiner Menschen seid und fortan bleiben werdet! Ich bin ein Heide - und erkenne hier in dem Manne Jesus die reinste Gotteskraft, und das in einer solchen Fülle, wie sie die ganze Erde bisher noch nie erlebt hat!

16] Nicht sein Fleisch wirkt solche nie erhörte Taten, sondern sein allmächtiger, reinster Gottesgeist, der in aller Fülle in ihm wohnen muß!

17] Seht, das erkenne ich als ein von euch für blind deklarierter Heide! Was erkennt denn ihr an Jesus, der bloß durchs alleinige Wort ohne alle Medizin eure Toten erweckt und unsere Krüppel springen macht gleich jungen Hirschen?!

18] Ich aber frage euch, ihr Blinden: Wer muß der sein, dem es nur ein williges Wort kostet, und Sturm und Wind verstummen, die Toten erstehen und die Lahmen beginnen zu springen, als wären sie in die Natur der Hirsche umgewandelt worden?!«

19] Durch diese wirklich sehr wahre und kühne Rede hatte er die Pharisäer und Schriftgelehrten samt und sämtlich so gewaltig erzürnt, dass sie ihn zerrissen hätten vor Wut und Grimm, so sie seiner leicht hätten habhaft werden können. Aber es war das vor der großen Menge des Volkes nicht möglich und auch nicht ratsam; denn alles Volk jubelte über diesen jungen Mann, der endlich einmal den Mut hatte, den überhochtrabenden Pharisäern und Schriftgelehrten so recht derb die volle Wahrheit unter ihre Nasen zu streichen!



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