Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 106


Ein kräftiger Fürsprecher Jesu.

01] Da tritt ein sehr angesehener Mann aus der Gegend von Kapernaum vor und spricht: »Hochgeehrtester Diener Jehovas im Tempel zu Jerusalem! Der von euch nun in eurer Frage vor uns angeführte Jesus ist aus dieser Gegend und Stadt sozusagen gebürtig, hat sich stets ordentlich und überaus gottesfürchtig zu jeder Zeit benommen! Man sah ihn sehr oft anhaltend beten; nie noch hat ihn jemand lachen gesehen, aber dafür oft weinen in geheimen stillen Orten, die er oft zu besuchen pflegte.

02] Schon in der frühesten Zeit seines Lebens haben sich mit ihm seltsame Dinge zugetragen, und nun, da er eigentlich als ein rechter Arzt, der seinesgleichen auf der Erde nicht hat, eine Reise unternommen hat, bringt er Heilungen durchs bloße Wort derart zuwege, wie sie nur Jehova allein zuwege zu bringen imstande wäre!

03] Alle Taten von Moses an bis zu uns herab sind nahe als nichts dagegen anzusehen! Er macht jahrelang gänzlich verdorrte Krüppel augenblicklich völlig gesund, jedes noch so böse Fieber muß sich vor seinem Worte beugen, die von Geburt aus Stummen, Tauben und Blinden reden, hören und sehen so vollkommen wie unsereins! Den bösesten Aussatz vertreibt er plötzlich, von den Besessenen treibt er bloß durch ein Wort die Legionen von Teufeln aus, und die Toten ruft er, und sie stehen auf, essen und trinken und wandeln dann herum, als hätte ihnen nie etwas gefehlt! Also gebietet er auch den Elementen, und sie gehorchen ihm, als wären sie seine getreuesten und willfährigsten Diener!

04] Seine Lehre aber ist, im allgemeinen gesprochen, die: dass man Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben solle in der Tat!

05] Da er aber solche Taten verrichtet und die reinste Lehre seinen Jüngern verkündet, so halten wir ihn für einen ganz außerordentlichen Propheten, den Jehova nun, wie einst den Elias, uns in unserer größten Drangsal wie aus den Himmeln gesandt hat! Das ist alles, was ich und noch viele von diesem herrlichen Jesus wissen, und wir können Gott nicht genug danken, dass Er einmal wieder Seines armen, über alle Maßen bedrängten Volkes gedacht hat.

06] Viele halten ihn für den verheißenen großen Gesalbten des Herrn! Ich meinesteils aber bin weder dafür noch dawider, frage aber dennoch, ob einst Christus, Der da kommen soll, größere Taten verrichten wird?!«

07] Sagt der Priester: »Du redest da, wie ein Blinder urteilt von den Farben! Wo steht es denn geschrieben, dass je ein Prophet aus Galiläa erweckt werde?! Wir sagen es dir, dass dieser euer Jesus nichts als ein arger Zauberer ist, der durchs Feuer vertilgt werden sollte! Seine Lehre aber ist eine Larve, hinter der er sein gotteslästerliches Unwesen verbirgt! Nicht mit Gott, sondern mit aller Teufel Oberstem verrichtet er seine Wundertaten, - und ihr Blinden haltet ihn sogar für den großen Verheißenen! Wahrlich, ihr alle seid darum samt ihm des Feuertodes schuldig!«

08] Der Mann aber stellt sich fest auf und sagt: »Ja, von euch aus, so wir nicht Galiläer und ich namentlich nicht ein kompletter Römer wäre und noch ihr, und nicht die Römer, unsere Herren wären, da brennten wir schon lange! Aber glücklicherweise hat für uns Galiläer eure Herrlichkeit schon lange aufgehört! Wir sind vollkommen römische Untertanen und haben sonach mit euch nichts zu tun, als euch höchstens aus Galiläa vollends hinauszuweisen, so ihr es wagen solltet, euch nur an den Kleinsten aus uns Römern zu vergreifen!

09] Ich sage euch aber nun bezüglich unseres großen Propheten Jesus auch noch das: Wehe euch, so es euch gelüsten sollte, in diesem Lande eure bösen Hände an Ihn zu legen!

10] Denn für uns ist Er ein wahrhaftigster Gott; Er tat vor uns Dinge, die nur Gott allein möglich sein können!

11] Ein Gott, der den armen leidenden Menschen Gutes tut, muß ein rechter und wahrer Gott sein! Ein Gott aber, wie der eurige ist, der nur mit Gold, Silber und allerlei andern fetten Opfern zu beschwichtigen ist und für lange und überteuer bezahlte Gebete beinahe soviel als nichts tut und gibt, ist gleich wie ihr, die ihr euch seine Diener nennt, durch und durch böse und verdient, gleich wie ihr, aus dem Lande hinausgeworfen zu werden!

12] Ihr sagtet, Jesus sei ein reißender Wolf im Schafspelz! Was seid denn dann ihr?! Wahrlich, gerade ihr selbst seid das in vollstem Maße, was ihr von Jesus, diesem lammfrommen Manne, aussagtet!

13] Ihr hört unsere Beschwerden mit freundlicher Miene an, in eurer Brust aber brütet ihr die unversöhnbarste Rache für uns Beschwerdeführer und möchtet nun schon, so es euch möglich wäre, uns mit Sodoms Feuer aus den Himmeln vertilgen! Aber nichts da, ihr arges Natterngeschmeiß und Skorpionengezüchte! Hier sind wir Römer die Herren und werden euch den Weg von hier bis Jerusalem zu weisen verstehen, so ihr euch nicht von selbst sogleich auf den Weg machen werdet!«

14] Diese Rede hatte natürlich die drei Schriftgelehrten in eine allerglühendste Wut versetzt; aber sie getrauten sich nun vor dem zahlreichen Volke nicht mehr zu äußern und suchten daher durch ein Hinterpförtchen das Weite zu erlangen, nämlich den Weg gen Kapernaum, allwo die meisten Pharisäer und Schriftgelehrten aus Jerusalem sich aufhielten und ganz ungehindert allen erdenklichen Lastern der Hurerei und jedes möglichen Betruges huldigten.

15] Als die drei sogestaltig die Synagoge geräumt hatten, da trat ein anderer hervor und brachte dem Redner den allgemeinen Dank aus dem Munde aller hier anwesenden Deputierten und Einzelbeschwerdeführer, setzte aber am Ende hinzu und sprach: »So wir es nicht den Samaritanern gleichmachen, werden wir vor diesen Bestien keine Ruhe haben! Ihre Namen müssen uns verächtlicher werden als die des Gog und Magog, und Jerusalem muß uns sein ein Ort zum Anpissen, sonst werden wir diese Plage, die ärger ist denn alle Pestilenz, nimmer los!«

16] Sie geben ihm alle recht und sagen: »Wenn nun unser wundertätiger Jesus irgendwo anzutreffen wäre, sogleich müßte Er hierherkommen, und wir würden Ihn zu unserm allein gültigen Lehrer und Oberpriester machen!«

17] Sagt der Redner: »Das wäre auch mein Sinn; aber darüber müßten wir uns zuvor dennoch beim römischen Landpfleger in Kapernaum erkundigen, ob er damit einverstanden wäre. Denn es haben die Römer hier an der Seite unserer Priesterschaft eben keinen leichten Stand; denn der Tempel soll mit dem Könige Roms stets in einer ganz geheimen Korrespondenz stehen!«

18] Mit diesem Vorschlage waren alle einverstanden und verließen darauf einer nach dem andern den Saal, in welchem die Synagoge war.



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