Jakob Lorber: 'Bischof Martin - Die Entwicklung einer Seele im Jenseits'


74. Kapitel: Martins Zweifel und Kritik über das Wesen des Bösen. Borems Rede über die göttliche Lebensführungsordung. Gleichnis vom gärenden Weinmost und vom unreifen Obst. Das 'Gute' und das 'Böse' als die beiden Gegenpole in Gott und in der Schöpfung.

Originaltext 1. Auflage 1896 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text u. Versnummerierung nach 3. Auflage 1960 Lorber-Verlag

01] Spricht B. Martin: „Ja, ja, du hast wohl recht, und redest sicher die vollste Wahrheit; aber das mußt du mir denn doch nolons volens zugeben, daß die Sünder so gut Gottes Geschöpfe sind, als wie wir, ja sogar der Teufel selbst, und gehen somit auch von Gott aus; wer aber wohl wird Sünder und Teufel darum gut heißen, weil sie auch von Gott ausgegangen sind?

02] Ich meine vielmehr also: Gott hat unter Seinen zahllosen Geschöpfen auch freie Wesen gestaltet, und hat ihnen Seine unwandelbare Ordnung kund gegeben, und die Wege vorgezeichnet, die sie eben nach solcher Seiner unwandelbaren Ordnung zu wandeln haben. Da sie aber freie Wesen sind, so können sie wohl auch der erkannten göttlichen Ordnung den Rücken zuwenden, und derselben ganz vollkommen zuwider handeln; so sie nun das thun, so frage ich:

03] Wenn allein dem göttlichen Guten gegenüber etwas Böses denkbar ist, so ist ja doch nur eine Handlung wider die erkannte göttliche Ordnung das eigentlich Böse zu nennen? Ist aber diese auch gut, da möchte ich denn doch wissen, was dann das Böse ist? Denn etwas Böses muß es ja doch geben, sonst wäre die Hölle der wahreste und vollendsleerste Begriff, den ein menschlicher Geist gedacht hätte!

04] Ist aber die Hölle eine wirkliche Realität, und ist eine der positiven unwandelbaren göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung als wahrhaft böse zu bezeichnen, so sind diese Damen böse, und für die Hölle reif, wie eine Traube auf der Erde im Monate November!

05] Sünde und Sünder als Jünger des Teufels sind demnach böse, und ihr Lohn ist, nach dem Ausspruche des Herrn Selbst, die Hölle, als ein Sammelplatz alles Bösen. Aus der Erscheinlichkeit dieser Damen hat sich's herausgestellt, daß in ihnen eitel Böses war; sie erdolchten sich gleich Furien, und nun brennen sie! Freund, hat die Hölle wohl noch etwa ein anderes Gesicht?"

06] Spricht Borem: „O Freund! du sprichst noch wie ein kurzsichtiger Erdenpilger aus dem Kerker seines Fleisches. Freilich wohl ist von Seite eines freien Wesens eine der erkannten göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung Sünde, und somit auch Böses; aber weißt du denn auch die Grenzen zwischen dem freien und daneben aber gerichteten Wesen eines und desselben Menschen zu bestimmen?

07] Weißt du, wo die Seele im Fleische den Anfang nimmt, und wo in der Seele der Geist; weißt du ganz genau, wo bei einem Menschen die gerichteten Handlungen anfhören, und die freien ihren Anfang nehmen? Weißt du, wie das Geistige und Freie in das Naturmäßige und Gerichtete hineinragt, und in wie weit?

08] So du den neuen Most in das Faß gabst, da fing er bald darauf zu gähren an; da sauste und brauste es gewaltig im Fasse, und als du mit der Nase an das Spundloch kamst, da schlug dich ein heftigster Geruch ganz betäubt zurück; weißt du wohl, was das war, was den Wein gähren machte? Siehe, du weißt es nicht; als aber der Most ausgegohren war, da ward er dann ruhig und ward rein, und ward ein lieblicher Wein! Weißt du wohl, wie aus dem Moste ein lieblicher Wein ward?!

09] Bald nach der Blüthe eines Feigenbaumes, oder eines andern Baumes sahst du die Frucht schon; so du sie nun verkostetest, da fandst du sie sauer und herbe, also gegen die Ordnung deines Geschmacks schlecht und böse; da aber die Frucht reif ward, wie fandst du sie dann? Siehe, da war sie deinem Gaumen vollkommen angepaßt, also sicher nicht mehr schlecht und böse!?

10] Der Winter ist für das Gefühl sicher eine Sünde; denn er ist nicht in der Ordnung warmfühlender und warmblütiger Menschen und Thiere; aber so er nicht wäre, wie stünde es dann um den Fruchtboden der Erde, und um die physische Kraft des Menschen?!

11] Ich sage dir, in der ganzen Unendlichkeit findest du stets zwei Pole, von denen der eine wie der andere gleich der Ordnung Gottes angehören, obschon sie sich in allem schnurgerade wie Tag und Nacht, oder wie Ja und Nein entgegengesetzt sind; sage, der welche davon ist denn böse?! Siehst du denn nicht, daß der Herr alles leitet und führet, und jedes Ding seines Weges; wo also solle da ein böser Weg sein?!

12] Siehe, der Herr weiß es, wie weit Er einem Wesen den Kreis seiner Freiheit spannet; in diesem Kreise kann jedes Wesen, das einen freien Willen hat, thun was es will, zur Uebung seiner Freiheit; aber über diesen Kreis hinaus mag kein Wesen handeln!

13] In einem Wassertropfen leben oft zahllose Infusorien, und bewegen sich frei im selben; können sie aber auch über den Tropfen hinaus ihre Lebensfreiheit ausüben?

14] Also mögen die Menschen auch die moralische Ordnung auf ihrem Erdboden untergraben durch Kriege und andere Argheiten; sage - hindern sie dadurch den Nacht- und Tagwechsel, oder können sie Regen und Wind, aufhalten? oder können sie das Meer ausschöpfen?!

15] Siehe, willst du von der großen Ordnung Gottes reden, so mußt du weiter sehen, als nur den schmalsten Raum deines Wirkungskreises.

16] Was sich im Tropfen nicht gibt, das gibt sich sicher im Meere, das der giftigste Tropfen nimmer vergiften kann. Was in der Erdbahn keine Gleichung findet, das findet sie sicher in der unermeßlich großen Sonnenbahn; und wem diese noch zu klein ist, für den gibt es noch Zentralsonnenbahnen von unermeßlichen Weiten und Tiefen.

17] So eine Zahl in einer andern Zahl keine gleiche Aufnahme findet, ist das schon die Folge, daß es dann keine Zahl mehr gäbe, in der sie eine harmonische Aufnahme fände? Oder so in einer bestimmten Tonart in der Musik ein fremder einer andern Tonart eigener Ton nicht stimmt, somit eine barste Sünde ist, meinst du wohl, daß dieser Ton sonach ganz aus der Musik zu verbannen wäre?

18] Siehe, Gott hat wohl auf der Erde einem jeden Menschen eine gewisse Ordnung mit: „Du sollst" gezeigt und gegeben; aber Er hat ihm auch alles andere gegeben. Er weiß es am besten, wie Er Einen oder den Andern leitet zur Erreichung des einstigen großen Zweckes; daher auch hat Er geboten Niemanden zu richten, so wie einst auch der Himmel größter Engel Michael den Satan nicht richten durfte, als dieser mit ihm um den Leichnam Moses stritt!

19] Wir müssen daher nur sehen, was der Herr thut, und darnach unser Urtheil einrichten, wollen wir weise und wahre Kinder Gottes sein; alles eigene Urtheil aber muß ganz aus uns weichen; denn wir können nur in unserem Kreise uns frei bewegen; aber die Bewegung in den zahllosen ewigen Kreisen der Ordnung Gottes geht uns nichts an, sondern allein den Herrn; darum es auch heißt, daß da ein Jeder nur vor seiner Thüre fegen solle, und nicht auch vor der seines Nachbars!

20] Fasse nun dieses einmal fest, und betrachte dann die Szene weiter und ich hoffe vor Gott dem Herrn, du wirst nun anfangen, die Sachen in einem ganz andern Lichte zu schauen und zu beurtheilen! der Herr gebe dir bald den rechten Willen und die rechte Einsicht dazu. Sehe nun hin, du ersiehst nun schon eine ganz andere Szene!"

01] Spricht Bischof Martin: »Ja, ja, du hast wohl recht und redest sicher die vollste Wahrheit. Aber du mußt mir doch zugeben, daß die Sünder so gut Gottes Geschöpfe sind wie wir, ja sogar der Teufel selbst, und gehen somit auch von Gott aus! Wer aber wohl wird Sünder und Teufel darum gut heißen, weil sie auch von Gott ausgehen und ausgegangen sind?!

02] Ich meine vielmehr so: Gott hat unter Seinen zahllosen Geschöpfen auch freie Wesen gestaltet. Er hat ihnen Seine unwandelbare Ordnung kundgegeben und die Wege vorgezeichnet, die sie eben nach Seiner Ordnung zu wandeln haben. Da sie aber freie Wesen sind, können sie wohl auch der erkannten göttlichen Ordnung den Rücken zuwenden und ihr vollkommen zuwiderhandeln. So sie nun das tun, so frage ich:


03] Wenn allein dem göttlichen Guten gegenüber etwas Böses denkbar ist, so ist ja doch nur eine Handlung wider die erkannte göttliche Ordnung das eigentliche Böse zu nennen?! Ist aber diese auch gut, da möchte ich denn doch wissen, was denn das Böse ist!? Denn etwas Böses muß es ja doch geben, sonst wäre die Hölle der leerste Begriff, den ein menschlicher Geist je gedacht hätte!

04] Ist aber die Hölle eine wirkliche Realität, und ist eine der positiven unwandelbaren göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung als wahrhaft böse zu bezeichnen, so sind diese Damen böse und für die Hölle reif wie eine Traube auf der Erde im Monat November!

05] Sünde und Sünder als Jünger des Teufels sind demnach böse, und ihr Lohn ist nach dem Ausspruch des Herrn Selbst die Hölle als ein Sammelplatz alles Bösen. Aus der Erscheinlichkeit dieser Damen hat sich's herausgestellt, daß in ihnen eitel Böses war. Sie erdolchten sich gleich Furien, und nun brennen sie! Freund, hat die Hölle wohl noch etwa ein anderes Gesicht?«

6] Spricht Borem: »Freund, du sprichst noch wie ein kurzsichtiger Erdenpilger aus dem Kerker seines Fleisches! Freilich ist von Seite eines freien Wesens eine der erkannten göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung Sünde und somit auch Böses. Aber weißt du denn auch die Grenzen zwischen dem eigentlichen freien und daneben aber gerichteten Wesen ein- und desselben Menschen zu bestimmen?

07] Weißt du, wo die Seele im Fleische den Anfang nimmt, und wo in der Seele der Geist? Weißt du ganz genau, wo bei einem Menschen die gerichteten Handlungen aufhören und die freien ihren Anfang nehmen? Weißt du, wie das Geistige und Freie in das Naturmäßige und Gerichtete hineinragt, und inwieweit?

08] So du den neuen Most in das Faß gabst, da fing er bald darauf zu gären an. Da sauste und brauste es gewaltig im Fasse, und als du mit der Nase an das Spundloch kamst, da schlug dich ein heftiger Geruch ganz betäubt zurück. Weißt du wohl, was das war, was den Wein gären machte? Siehe, du weißt es nicht! Als aber der Most ausgegoren war, da ward er dann ruhig und rein und ward zu Wein. Weißt du wohl, wie aus dem Moste ein lieblicher Wein wurde?

09] Bald nach der Blüte eines Feigenbaumes oder eines andern Baumes sahst du die Frucht schon. So du sie verkostetest, da fandest du sie sauer und herbe, also gegen die Ordnung deines Geschmacks schlecht und böse. Als aber die Frucht reif ward, wie fandest du sie dann? Siehe, da war sie deinem Gaumen vollkommen angepaßt, also sicher nicht mehr schlecht und böse!

10] Der Winter ist für das Gefühl sicher eine Sünde; denn er ist nicht in der Ordnung warmfühlender und warmblütiger Menschen und Tiere. Aber so er nicht wäre, wie stünde es dann um den Fruchtboden der Erde und um die physische Kraft des Menschen?

11] Ich sage dir, in der ganzen Unendlichkeit findest du stets zwei Pole von denen der eine wie der andere gleich der Ordnung Gottes angehören, obschon sie sich in allem schnurgerade wie Tag und Nacht oder wie Ja und Nein entgegengesetzt sind. Sage, welcher davon ist denn böse? Siehst du denn nicht, daß der Herr alles leitet und führt, und jedes Ding seines Weges? Wo also sollte da ein böser Weg sein!

12] Siehe, der Herr weiß es, wie weit Er einem Wesen den Kreis seiner Freiheit spannt! In diesem Kreise kann jedes Wesen, das einen freien Willen hat, zur Übung seiner Freiheit tun, was es will. Aber über diesen Kreis hinaus vermag kein Wesen zu handeln!

13] In einem Wassertropfen leben oft zahllose Infusorien und bewegen sich frei im selben; können sie aber auch über den Tropfen hinaus ihre Lebensfreiheit ausüben?

14] Ebenso mögen die Menschen auch die moralische Ordnung auf ihrem Erdboden untergraben durch Kriege und andere Argheiten. Hindern sie aber dadurch den Nacht- und Tagwechsel, oder können sie Regen und Winde aufhalten oder das Meer ausschöpfen?

15] Siehe, willst du von der großen Ordnung Gottes reden, so mußt du weiter sehen als nur den schmalsten Raum deines Wirkungskreises!

16] Was sich im Tropfen nicht gibt, das gibt sich sicher im Meere, das der giftigste Tropfen nimmer vergiften kann! Was in der Erdbahn keine Gleichung findet, das findet sie sicher in der unermeßlich großen Sonnenbahn. Und wem diese noch zu klein ist, für den gibt es noch Zentralsonnenbahnen von unermeßlichen Weiten und Tiefen!

17] So eine Zahl in einer andern Zahl keine gleiche Aufnahme findet: ist das schon die Folge, daß es dann keine Zahl mehr gäbe, in der sie eine harmonische Aufnahme fände? Oder so in einer bestimmten Tonart in der Musik ein fremder, einer andern Tonart eigener Ton nicht stimmt, somit eine barste Sünde ist, meinst du wohl, daß dieser Ton sonach ganz aus der Musik zu verbannen wäre?

18] Siehe, Gott hat wohl auf der Erde einem jeden Menschen eine gewisse Ordnung mit 'Du sollst!' gezeigt und gegeben, aber Er hat ihm auch alles andere gegeben. Er weiß es am besten, wie Er einen oder den andern leitet zur Erreichung des einstigen großen Zweckes. Daher auch hat Er geboten, niemanden zu richten, so wie einst auch der Himmel größter Engel Michael den Satan nicht richten durfte, als dieser mit ihm um den Leichnam Mosis stritt!

19] Wir müssen daher nur sehen, was der Herr tut, und darnach unser Urteil einrichten, wollen wir weise und wahre Kinder Gottes sein. Alles eigene Urteil aber muß ganz aus uns weichen! Denn wir können nur in unserem Kreise uns frei bewegen. Aber die Bewegung in den zahllosen ewigen Kreisen der Ordnung Gottes geht uns nichts an, sondern allein den Herrn - darum es auch heißt, daß da ein jeder nur vor seiner Tür fegen solle und nicht auch vor der seines Nachbars!

20] Fasse dieses einmal wohl und fest, und betrachte dann die Szene weiter! Ich hoffe vor Gott dem Herrn, du wirst nun anfangen, die Sachen in einem ganz andern Lichte zu schauen und zu beurteilen. Der Herr gebe dir bald den rechten Willen und die rechte Einsicht dazu! Siehe nun hin, du ersiehst nun schon eine ganz andere Szene!«

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