Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 226


Das Verhältnis zwischen Seele und Geist.

01] (Der Herr:) ”Die Seele wird sich zum Geiste stets so verhalten, wie der irdische Leib zur Seele. Der Leib einer noch so vollkommenen Seele hat gewisserart auch einen eigenen Genußwillen, durch den die Seele verdorben werden kann, so sie in denselben eingeht. Eine recht erzogene Seele wird wohl nie in des Leibes Freßwillen eingehen und stets ein Herr über ihren Leib bleiben; aber bei den verbildeten Seelen ist solches sehr möglich.

02] Zwischen Seele und Geist waltet aber dennoch nur ein solches Verhältnis wie zwischen einer urvollkommenen Seele und ihrem Leibe. Der Leib mag für sich Begierlichkeiten haben, so viele er will, und die Seele reizen zur Gewährung und Befriedigung mit allen seinen oft sehr scharfen Stacheln, so sagt die vollkommene Seele dennoch stets ein wirkungsreiches Nein dazu! Und auf ein Haar dasselbe tut Mein Geist in der Seele, in die er vollends übergegangen ist!

03] Solange die Seele in des Geistes Willen vollkommen eingeht, so lange geschieht alles auf ein Haar nach dem Willen des Geistes, was da auch Mein Wille ist; wenn aber die Seele infolge ihrer Rückerinnerung etwas mehr die sinnlichen Dinge Betreffendes will, so tritt in solchen Momenten der Geist zurück und überläßt der Seele allein die Ausführung des Wunsches, aus der gewöhnlich nichts wird, besonders wenn das Vollbringenwollen sehr wenig oder oft auch gar nichts Geistiges in sich als wohlbezwecklich enthält.

04] Die Seele, ihre selbstische Schwäche und Ungeschicklichkeit bald merkend, läßt von ihren Selbstlustträumereien denn auch alsbald ab, vereinigt sich wieder mit dem Geiste auf das innigste und läßt seinen Willen vorwalten. Da natürlich ist dann wieder Ordnung und Kraft und Macht in der Fülle.“

05] Fragt endlich, etwas kleinlaut, doch wieder einmal Cyrenius: ”Herr, durch Dein vieles nunmaliges Reden und Ermahnen bin ich nun wohl hinter eine Kluft gekommen, in der ich einen Hauptmangel in der Sphäre meiner Erkenntnisse gemerkt habe und ihn jetzt noch immer besser merke!

06] Du sagtest ehedem, dass das Selbstische der Seele, wenn auch Dein Geist in ihr durch den Akt der geistigen Wiedergeburt sie ganz durchdringt und völlig einnimmt, dennoch nicht derart in den Geist übergegangen ist, dass sie es in gewissen Momenten von selbem nicht mehr sondern könnte. Sie besitzt also gleichfort noch ihr Selbstisches und kann sogar ganz für sich denken und wollen wie vor der Wiedergeburt des Geistes in ihr substantielles Wesen.

07] Kann sie zuvor selbst wollen und denken, so muß sie ja auch ein freies, für sich bestehendes Erkenntnisvermögen besitzen und muß damit erkennen den namenlosesten Vorzug dessen, was ihr aus ihrem Geiste einfließt, vor dem, was ihr ihre eigenen Sinne bieten. Erkennt sie aber notwendig das, wie möglich kann sie noch je etwas für sich denken und wollen, was ihr nicht der Geist eingehaucht hat?! Muß denn nicht ihr sehnlichster und ihr ganzes Wesen beseligendster Wunsch vor allem der sein, ganz vollkommen eins mit dem Geiste für ewig zu sein und unwandelbar zu verbleiben?! - Ich finde in der bleibenden selbstischen Denk-, Wollens- und Erkennensfähigkeit eigentlich noch eine Unvollkommenheit im geistigen Sein des Menschen.

08] Sonderbar aber klingt auch das, dass die in ihren Geist hinüber so ganz eigentlich neugeborene Seele - die denn doch viel kräftiger sein sollte als die pure, urvollkommene Seele eines dieser Mohren, bei denen von einer geistigen Wiedergeburt noch lange keine Rede ist und auch um so weniger früher je eine war - für sich viel weniger vermag als eine solche für sich allein dastehende pure, urvollkommene Seele eines dieser Mohren! Wenn solche Seelen etwas wollen, so geschieht es; wenn aber eine in ihrem Geiste wiedergeborene Seele - was doch sicher mehr sagen will als bloß eine urvollkommene Seele sein - etwas so aus sich wollte, so geschieht's nicht, weil es der Geist nicht will!

09] Den Seelen dieser Mohren wird sicher auch jenseits die wunderbare Fähigkeit innewohnen, laut der sie wenigstens so viel Wundersames wie hier werden zu bewirken imstande sein; unsere in den Geist hinüber wiedergeborene Seele aber sollte dann für sich, gewisserart zu ihrem Privatvergnügen, gar nichts vermögen? Wahrlich, Herr, das ist mir nun zum ersten Male etwas, was ich durchaus nicht zu fassen vermag! Denn ich finde dazu weder irgendeinen Grund, noch irgendeinen für die Vernunft annehmbaren Anhaltspunkt. Wolle Du also die Gnade haben, uns Weißen diese Sache in ein etwas helleres Licht zu setzen; denn das ist eine unverdauliche Kost für uns!“



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